Covid-19-Risikobewertung für Einundachtzigjährige

Wie hoch ist eigentlich das Risiko eines Angehörigen der Risikogruppe an Covid-19 zu sterben? Wie verhält sich dieses Risiko zum allgemeinen Sterberisiko und zu anderen Erkrankungen? Und welche Unterschiede gibt es von Land zu Land? 

Das Durchschnittsalter der durch eine Infektion mit Covid-19 verstorbenen Menschen liegt laut Robert-Koch-Institut am 28.05.2020 in Deutschland bei ca. 81 Jahren (Quelle: rki).
Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt für 2019 in Deutschland zufälligerweise ebenso bei ca. 81 Jahren. (Quelle: destatis):

Bereits in Wuhan wusste man, dass Covid-19 für Menschen unter 60 Jahren harmlos ist, was unter anderem dazu geführt hat, dass die Bundesregierung bis Anfang März nicht allzu besorgt war.
Wie groß ist aber das Risiko der Alten? Was muss ein 80-jähriger befürchten?


Das allgemeine Sterberisiko eines 81-Jährigen in Deutschland 


Im statistischen Durchschnitt hat ein 81-jähriger Deutscher keine Lebenserwartung mehr. Da er aber 81 Jahre alt geworden ist, besteht glücklicherweise eine relativ große Chance auch 82 Jahre und mehr zu werden.  Sofern man die Unterschiede der Geburtenrate außer Acht lässt, könnte man die sich verringernden "Bestände" pro Jahrgang als Wert für die Überlebensrate verwenden.
Also schauen wir auf die Jahrgänge 1931-1940 in Deutschland (Quelle: destatis):




Rund 11% der 81-jährigen erleben leider nicht mehr das nächste Lebensjahr. Von 80 zu 81 sind es 5%. Von 82 zu 83 sind es ebenfalls 11%. Von 83 zu 84 10%. Ich würde mich auf einen Durchschnittswert dieser 4 Gruppen festlegen und der liegt bei 9%.

Das allgemeine Sterberisiko eines 81-jährigen liegt also pro Jahr bei 9% . Durch besondere Vorkommnisse wie z.B. eine Corona-Epidemie müsste sich dieses Risiko erhöhen.
Schauen wir uns einmal an, wie die Epidemie das Sterberisiko erhöht hat.


Sterberisiko eines 81-jährigen in Deutschland stieg um 0,87%


Im Zuge der Corona-Epidemie sind in Deutschland 0,0108 % der Bevölkerung verstorben.
Der Anteil der an Covid-19 gestorbenen Menschen schlüsselt sich in Deutschland laut RKI Ende Mai wie folgt auf (Quelle: rki):




Anteilig an der Altersgruppe der Gesamtbevölkerung ergibt sich:

0,00018% Tote in Altersgruppe  30-39
0,00066% Tote in Altersgruppe  40-49
0,0021 %  Tote in Altersgruppe  50-59
0,0075%   Tote in Altersgruppe  60-69
0,025%     Tote in Altersgruppe  70-79
0,078%     Tote in Altersgruppe   80-89
0,19%       Tote in Altersgruppe  90-99
1,25%       Tote in Altersgruppe  100+

Die Anteile der Gestorbenen stellen sich in anderen Ländern kaum anders dar. Pressemeldungen von betroffenen Kindern und jungen Menschen müssen nicht falsch sein, aber sie sollten in Relation zu den Daten gesehen werden.

So wir den  81-Jährigen in Deutschland als exemplarisch für die Altersgruppe 80-89 sehen wollen (das ist geschmeichelt), kam zu den 9% des allgemeinen Sterberisikos infolge der Epidemie ein zusätzliches Risiko von 0,078 % hinzu und wuchs auf 9,078 %.
Es handelt sich um einen Durchschnittswert. Wie wir wissen, ist das Risiko für Vorerkrankte höher als für halbwegs Gesunde. Für Heimbewohner größer als für Singles, die vorwiegend allein leben.

Das Sterberisiko erhöhte sich für den deutschen 81-Jährigen im Jahre 2020 durch die Epidemie bis jetzt um 0,87 %.

Doch wir hatten in Deutschland Maßnahmen, von denen wir annehmen (sollten), dass sie die Todesrate reduziert haben oder wir nehmen mindestens an, dass Deutschland nicht so stark betroffen war wie andere Länder.
Dies ist ein Anlass für die Frage, wie hoch das Risiko eines 81-Jährigen in einer der weltweit am stärksten betroffenen Regionen war bzw. ist - der Lombardei?

Sterberisiko eines 81-jährigen Lombarden stieg um 13%


Man darf behaupten, dass die Lombardei, speziell die Region Bergamo, den Ausbruch der Epidemie verschlafen hat. Der Bürgermeister von Bergamo behauptet, dass der Virus schon Ende Dezember im Norden Italiens angekommen war (Quelle: ntv). Noch 8 Wochen später fanden Großveranstaltungen statt und erst kurz danach wurde der erste Patient positiv auf SARS-Cov2 getestet.
Doch das war zu spät, um die Explosion noch zu vermeiden. Diese bestand darin, dass nunmehr auch eine große Anzahl der Risikogruppe infiziert war, noch dazu, weil der Virus seit Wochen ausgerechnet dort im Verborgenen umher ging, wo die Risikogruppe besonders gut erreichbar war - im Gesundheitswesen.
Also ist die Lombardei - ähnlich wie New York oder London - im Gegensatz zu Deutschland ein Fallbeispiel für eine lange, ungehemmte Ausbreitung des Virus. Natürlich nur so lange, bis auch dort Maßnahmen ergriffen wurden.

Die Lombardei hat Ende Mai bei 10 Millionen Einwohnern 16 000 Tote zu beklagen (Quelle: ihme). Das sind 0,16 % der lombardischen Bevölkerung.
Das altersspezifische Risiko eines 81-jährigen Lombarden kann durchaus basierend auf den Relationen der vom RKI ermittelten Altersstruktur der deutschen Toten ermittelt werden. Hier ergibt sich für die Gruppe 80-89 ein Faktor von 7,5 zur Gesamtbevölkerung.
Demzufolge ist bzw. war das Todesrisiko eines 81-Jährigen Lombarden 1,2%, an Covid-19 zu sterben.
Das mit Deutschland als vergleichbar anzunehmende allgemeine Sterberisiko von 9% stieg also auf 10,2%. Das Sterberisiko erhöhte sich damit um 13 %.

Sterberisiko eines 81-jährigen Schweden stieg um 3,7 %


Ein anderer Vergleichsfall ist Schweden. Die Epidemie wurde hier keineswegs verschlafen. Aber die Maßnahmen waren milde im Vergleich zu anderen Ländern. Im Grunde gab es keinen Lockdown, die Schulen blieben offen und die Mobilitätsdaten belegen eine nur halb so große Einschränkung der Schweden (-30%) im Vergleich zu den Deutschen (-55%), während die Lombarden (-90%) eine drei mal stärkere  Mobilitätseinbuße aufweisen als die Schweden (Quelle: ihme).

Mit seinen 10 Millionen Einwohnern kommt Schweden Ende Mai auf 4400 Corona-Tote, das sind 440 Tote pro Million Einwohner bzw. 0,044 % der Gesamtbevölkerung (Quelle: ihme).
Für den 80-jährigen Schweden ergibt sich unter Berücksichtigung der Opfer-Altersstruktur ein Corona-Todes-Risiko von 0,33 %.
Das mit Deutschland als vergleichbar anzunehmende allgemeine Sterberisiko von 9% stieg also auf 9,33%. Das Sterberisiko erhöhte sich damit um 3,7 %.

Sterberisiko eines 81-jährigen im deutschen Worst Case (BMI) wäre um 88% gestiegen


Das offiziell einsehbare BMI-Corona-Strategie-Papier gibt exemplarisch Auskunft über den Stand der Überlegungen in Regierungskreisen zum Zeitpunkt Mitte März (Quelle: bmi). Demzufolge kam ein Expertengremium zum Schluss, dass bei einer ungebremste Ausbreitung des Virus bis Ende Mai mit 1,16 Millionen Toten zu rechnen ist. Zum Vergleich. Es sind heute (28.05.2020) weltweit 361 000 Coronatote gemeldet (Quelle: worldometer).

Dem Papier zufolge hätten sich Ende Mai  57 Millionen Menschen in Deutschland mit dem Virus infiziert. Nach dem Modell der Herdenimmunität wäre damit zu rechnen, dass die Epidemie somit zu einem natürlichen Ende gekommen wäre. Das Papier nennt dies den Worst Case.
Die Todesrate in der Bevölkerung betrüge 1,4 % und gemäß der RKI-Verteilung würde dies in der Gruppe der 80-89-Jährigen zu einer Todeswahrscheinlichkeit von 10,5 %  führen.
Die Multiplizierung der Risiken für den Worst Case auf die Altersstruktur käme zu folgenden Todesraten:

0,0017 % Tote in Altersgruppe  0-9
0,0034 % Tote in Altersgruppe  10-19
0,012 % Tote in Altersgruppe  20-29
0,024 % Tote in Altersgruppe  30-39
0,084 % Tote in Altersgruppe  40-49
0,027 %  Tote in Altersgruppe  50-59
0,96  %   Tote in Altersgruppe  60-69
3,21 %    Tote in Altersgruppe  70-79
10.04 %   Tote in Altersgruppe   80-89
24,45 %  Tote in Altersgruppe  90-99
100%    Tote in Altersgruppe  100+

Diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen, denn der Worst Case geht davon aus, dass das Gesundheitssystem unter der Last des Ansturms zusammengebrochen wäre. Es wären Menschen gestorben, die bei adäquater Behandlung nicht hätten sterben müssten. Vermutlich würde dies zu einer anderen Altersstruktur der Toten führen. Jüngere Gruppen, z.B. die 60-69-Jährigen würden anteilig hinzugewinnen.
Eine Folge von einer reinen Multiplizierung des Risikos wäre übrigens, dass alle Hundertjährigen aus Deutschland umkommen und ein Viertel der Generation Ü90-100. Selbst in einem Horrorszenario wie dem BMI-Worst-Case erscheint das unrealistisch. Ich glaube, wenn man 2 Prozentpunkte bei den 80-89-Jährigen abzieht und die Anteile in die beiden darunter liegenden Altersgruppen verschiebt, hat man diesen Effekt der Systemüberlastung berücksichtigt.

Nach dem Worst-Case-Szenario hätte also ein 81-jähriger ein geschätztes Risiko von 8%, zu den Toten der Corona-Epidemie zu gehören.
Das allgemeine Sterberisiko von 9% würde also auf 17 % steigen. Das Sterberisiko würde sich damit um 88 % erhöhen.


Bewertung


Diese Zahlen können unter Hinzuziehung zweier Fragen bewertet werden:

1. Frage: In welchem Verhältnis steht das Corona-Todesrisiko zu anderen ausgewählten Todesrisiken (Krankheiten)?

Die häufigsten  Todesursachen eines in Deutschland lebenden 81-Jährigen seien hier genannt, wobei die erste Zahl, den Anteil an den Todesursachen nennt und die zweite Zahl den Anteil der 81-jährigen, die innerhalb eines Jahres daran versterben werden. (Quelle: bib):

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: 37%   -> 3,3 %
Krebs: 25%    -> 2,25 %
Atmungsorgane: 7%  -> 0,63 %
Verdauung: 5%   -> 0,45 %
Unfälle/Selbstmord: 4%  -> 0,36 %
Infektionen: 2% -> 0,18 %
Sonstiges: 20%  -> 1,8 %

Es ergeben sich daraus diverse Aussagen.
Das Risiko eines deutschen 81-Jährigen dieses Jahr an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, ist bzw. war 42 mal höher als an Covid-19 zu sterben.

Das Risiko eines lombardischen 81-Jährigen dieses Jahr an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, ist bzw. war immerhin "nur" 2,5 mal höher als an Covid-19 zu sterben.

2. Frage: In welchem Verhältnis stehen Maßnahmen zur Erhöhung des Sterberisikos?

Die Regierungen beinahe aller Länder haben keine speziellen Schutzkonzepte für die Risikogruppen von Covid-19 angewendet, sondern pauschal versucht, die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Welche Maßnahmen wie gewirkt haben, kann nur Gegenstand anderer Betrachtungen sein.

Fakt ist, dass die Gefährlichkeit des Virus individuell zu beurteilen ist. Auch bei 81-Jährigen.
Nach der hier erfolgten statistischen Risikobetrachtung ist ebenso Fakt, dass selbst unter widrigsten Umständen (Lombardei) das Todesrisiko in einem Maße steigt, das allzu starke Eingriffe in die Lebensqualität infolge sonstiger Risiken fraglich erscheinen lässt. Zumal es eben nicht nur Eingriffe in das Leben 81-Jähriger sind, sondern in das Leben aller, die langfristig schwer kalkulierbare Folgen haben können.

Leider ist es dem 81-Jährigen nicht selbst überlassen, die Schutzmaßnahmen an seine persönliche Bewertung des zusätzlichen Sterberisikos anzupassen, obwohl genau dies die logische Konsequenz in einer offenen, freiheitlichen und individualistischen Gesellschaft wäre.
Das, was als Solidarität aller mit den Alten gepriesen wird, ist gleichzeitig leider auch ein Bevormundung jener Altersgruppe, die weiß, dass jeder Tag der letzte sein könnte. Es wurde für Menschen entschieden, die nicht mehr über das Ob sondern nur noch über das Wie des Sterbens nachdenken. Vor allem jene, die aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes besonders gefährdet sind und daran besonders leiden. Das ist sicher anders, als es sich Jugendliche vorstellen. Ein Mensch, der seine Lebenserwartung erreicht hat, denkt anders über die Zukunft als ein junger Mensch.
Hier liegt ein Missverständnis vor, das seine Ursachen in einem völlig übersteigerten Moralempfinden hat, auch in der Verdrängung des Todes und auch in der Abwesenheit von echten, verbindenden und belastbaren Werten in einer Gesellschaft. Klar, wenn es keine höheren Werte gibt, wird die reine Lebenszeit zum einzigen verbliebenen Wert.

Für einen 81-jährigen lohnt es sich rein statistisch nicht, zur Steigerung seiner Lebenserwartung eines seiner letzten  Lebensjahre in Quarantäne zu opfern. Zum wachsenden allgemeinen Sterberisiko kommt ja noch hinzu, dass die Quarantäne selbst das Sterberisiko erhöht. Das ist schwer zu beziffern, aber wenn es nur eine Erhöhung im einstelligen Bereich wäre, wären sämtliche Corona-Schutz-Effekte hinfällig.






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