Die 5 Wege des Lernens


Für mich gibt es 5 grundlegende Methoden des Übens bzw. Lernens, die man als Musiker in seiner eigenen Übepraxis oder als Lehrer in seiner Didaktik verwenden kann. Alle drei haben ihre jeweiligen Einsatzgebiete. Wer die Mechanismen kennt, kann sein Üben effektivieren.  

Wie übt man richtig? Auch hier gibt es bestimmt unzählige Wortmeldungen unter den Musikern und Musikpädagogen. Ich erlebe oft, dass sich gerade Erwachsene über Zeitmangel beklagen. "Ich konnte diese Woche nicht oder nur ganz wenig üben". Wie ich hier schon öfter erwähnt habe, bin ich die Gedanken darüber leid, ob und warum jemand nicht üben kann. Dann bleibt mir nur übrig, mit den Schülern im Unterricht zu üben. Das hat sogar Vorteile: Ich kann den Schülern erstens zeigen, wie effektives Üben geht. Zweitens sichere ich ab, dass sie nichts falsches lernen. Drittens erfahre ich etwas über die Wirksamkeit der Übemethoden und über die Lernpsychologie des Menschen. Für die Richtigkeit meiner Erkenntnisse ist das Üben zu Hause sogar nachteilig. Die nicht übenden Schüler befinden sich sozusagen in einer Laborsituation.

Das Musizieren auf einem Instrument besteht aus der Wiedergabe erlernter Bewegungsroutinen. Das Lernen besteht aus Informationsaufnahme und Vertiefung (durch Wiederholung). Wenn wir uns unser Gehirn wie ein Aufnahmegerät vorstellen, dann ist die Konzentration, die wir beim Lernen haben, vergleichbar mit der Qualität unserer Aufnahme. Die zum Lernen nötige Konzentration erhöht sich durch Faktoren wie Freude, Stressfreiheit, Angstfreiheit und Frustfreiheit sowie der Belohnungserwartung. Aber auch durch Druck (Autorität/Publikum). Dies gilt sowohl für Aufnahme neuer Informationen, als auch für die Vertiefung von Erlerntem. Den Zustand der absoluten Konzentration auf eine Sache nennt man auch "Flow"-Effekt. Dieser Zustand ist ideal für das Üben.
Ich sehe 5 Wege, wie man üben und lernen kann. Ich habe ihnen zum Spaß englische Namen gegeben - klingt überzeugend und modern ;-)

1. Slow Down

Das unschlagbare Rezept um beachtliche Dinge vollbringen zu können.  Der Ablauf der Bewegung und der Steuerprozesse wird so weit in der Geschwindigkeit verringert, dass er schon beim ersten Mal richtig ausgeführt werden kann. Das Gehirn ist äußerst dankbar für Stressfreiheit und belohnt den Zustand der beschaulichen Wahrnehmung mit einem hohen Maß an Aufnahmefähigkeit. Eine über die Anzahl der Wiederholungen eingeübte Routine kann schließlich nach ein paar Tagen und Nächten immer schneller und immer unkonzentrierter ausgeführt werden.

So einfach und logisch dieses Prinzip auch erscheint, intuitiv macht es der Mensch eher anders. Intuitiv ist er ein Nachahmer. Er will Gezeigtes nachmachen. Und zwar möglichst sofort. Beim Musizieren funktioniert das aber eher schlecht. Ich sage immer: Es gibt nichts, was zu schwer ist, nur etwas, das zu schnell ist. Das Verlangsamen erfordert vom Schüler ein hohes Maß an Geduld, denn das Bedürfnis nach Klang wird infolge der verzerrten zeitlichen Wahrnehmung der Musik beim Langsamspielen nicht erfüllt. Der Schüler muss zunächst auf das klangliche Resultat warten. Ich sage dann aber immer, dass er darauf schon so lange gewartet hat, dass es jetzt auf die paar Tage auch nicht mehr ankommt ;-)
Um mal ein klassisches Beispiel herauszugreifen: Finger/Folk-Picking. Daran hat man erst in einer bestimmten Geschwindigkeit wirklich Spaß. Um aber tatsächlich irgendwann Spaß zu haben, muss man sehr geduldig und genau und langsam üben. Die gute Nachricht ist jedoch, dass die über die Routinierung gelernten Fähigkeiten bei allen ähnlich gearteten Stücken später bereits zur Verfügung stehen. Die meisten Routinen sind universal verwendbar. Ein mit dem "Slow-Down-Prinzip" erkämpfter Lernschritt ist manchmal sogar automatisch mit einer magischen Verbesserung in anderen Bereichen verbunden. Ich glaube manchmal, dass ich mich dadurch verbessern kann, einfachste Übungen der Schüler ganz langsam mitzuspielen. 

Umgedreht ist das Spielen an der Leistungsgrenze regelrecht gefährlich, weil man allzu schnell seine Ungenauigkeiten, den Stress und die Fehler kultiviert, anstatt die Qualität von Timing und Bewegung zu erhöhen. 
Dem Schüler speziell am Anfang die Langsamkeit anzugewöhnen ist schwer. Der Schüler will alles gleich können: Weil er ambitioniert ist oder weil er genial sein will oder weil er Angst hat, schlecht zu sein oder weil er ein Leben mit hohem Tempo lebt. Wenn Musikpädagogen das Prinzip der langsamen Beschaulichkeit, der Sorgfalt und der absoluten Stressfreiheit vermitteln können, dann könnten sie auch auf Rezept der Krankenkassen arbeiten - Modewort: Achtsamkeit. Dann nämlich haben sie die heilende Wirkung von Yoga oder ähnlichem vermittelt. Nur dass es beim Yoga niemanden gibt, der außer dem Yogi was davon hat. Das ist bei Musik anders. Musik macht auch denen Freude, die sie hören.
Verlangsamen, bewusst machen, Freude am Detail haben und geduldig wiederholen - wer das über einen längeren Zeitraum macht, wird immer einen Gewinn erzielen. Nicht nur beim Musizieren.

2. Easy Steps

Nun gut, man könnte sagen: Es gibt alltägliche Fähigkeiten, die wir nur in bestimmten Mindestgeschwindigkeiten tun können: Z.B. Fahrradfahren oder Sprechen. Auch beim Gitarrespielen gibt es Techniken, die umso schwerer oder gar unmöglich werden, je langsamer man sie ausführt: Z.B. Slides und Bendings. Demzufolge gibt es auch noch eine weitere Übeform, die eben genau nicht auf die Verlangsamung eines Prozesses abzielt, sondern auf die Vereinfachung. 
Meist handelt es sich um eine schrittweise Vereinfachung, oder - von unten gesehen - eine schrittweise Verkomplizierung. Ein leicht zu verstehendes Beispiel wäre ein Akkordschema, das man in der ersten Schwierigkeitsstufe erstmal nur mit Ganzen Noten, dann mit Halben und dann mit Vierteln usw. schrittweise erlernt. Der Vorteil der Vereinfachung liegt darin, dass die klangliche Erfahrung auf der jeweiligen Übestufe attraktiver ist, als wenn man z.B. die Akkordfolge im Zielrhythmus verlangsamt. Diese Übemethode hilft gerade bei der Liedbegleitung. Man kann ein Lied von Anfang an mitsingen.
Der Nachteil dieser Methode ist, dass für jede Übestufe ein eigener "Bewegungsfilm" im Gehirn erstellt werden muss. Die Routinen sind auf dem jeweiligen Niveau zwar einfach, dafür aber insgesamt zahlreicher.
Im Melodiespiel wären Vereinfachungen z.B. durch das Weglassen von Verzierungen möglich. Wobei man auch da bemerken muss, dass man Gefahr läuft, in gewisser Weise mehrfach zu üben. Das kann insofern problematisch sein, dass das Gehirn an bestimmten Stellen ungewiss ist, welcher Ablauf zu welcher Übevariante gehört. Das kann sich in unerklärlichen Fehlern äußern. Und manchmal gehört zu einer bestimmten Technik ein bestimmter Fingersatz, der anders ausgeführt, keinen Sinn macht.
Es ist am Ende  eine Frage der Abwägung, ob das Mittel der Vereinfachung zur Effektivität beiträgt oder eher nicht. Musikpädagogisch wird es von mir gern zur Motivation eingesetzt. Es steigert die Motivation, wenn der klangliche Erfolg in Bezug auf Zielgeschwindigkeiten von Anfang an da ist. Lieber auf einem niedrigeren Level perfekt, als auf einem höheren Level fehlerhaft und klanglich unbefriedigend.
Das Klettern auf Stufen scheint zudem einen gewisses Ehrgeizbonus heraus zu kitzeln. Der Schüler freut sich über den kleinen Schritt genauso wie über den großen. Das Einrichten von Schwierigkeitsstufen ist wie eine Treppe, die einen großen unüberwindbaren Höhenunterschied in mehrere kleine überwindbare aufteilt.

3. Compression

Schwierigkeiten sind gerade über längere Stücke gesehen meist nicht gleichmäßig verteilt. Oft sind es ein paar Stellen, die Probleme bereiten. Oft kann man die Probleme klar benennen. Wegen ein paar Stellen ein ganzes Stück ganz langsam zu spielen, macht keinen Sinn. Es gibt zwei Möglichkeiten, das Üben zu komprimieren. Entweder man übt Ausschnitte - meist in Taktschleifen - oder man denkt sich kleine Übungen aus, die die Schwierigkeit einer oder mehrerer Stellen auf kleinem Raum zusammenfassen. 
Die erste Form ist sehr geläufig, aber eben auch mit einem klassischen Problem behaftet, das wohl jeder Musiker kennt: Man übt eine Stelle und sie klappt. Dann spielt man das ganze Stück und die Stelle klappt plötzlich wieder genauso wenig wie vorher. Der Grund liegt hier m.E. in den Verknüpfungsmechanismen unseres Gehirns. Wir müssen uns die einzeln geübte Stelle wie eine neue Datei auf unserer imaginären Gehirn-Festplatte vorstellen. Diese neue Datei muss sozusagen in das Projekt neu eingebunden werden, denn im Projekt wird noch die alte fehlerhafte Datei verwendet. Diese Verknüpfung passiert über einen "Ping", der rechtzeitig vor jener Stelle im Kopf gesetzt werden muss. Wir müssen während des Spielens daran denken, die neue Datei aufzurufen, das mehrfach wiederholen und erst dann ist tatsächlich der Erfolg zu beobachten.
Wenn der Schüler z.B. eine neue Technik oder einen neuen Akkord erlernt, dann bieten sich immer komprimierte Vorübungen an, in denen der Schüler seine ganze Konzentration nur auf das Problem richten kann. Er darf nicht zusätzlich durch andere musikalische Linien abgelenkt werden. Man kann seine Konzentration nicht auf mehrere Dinge gleichzeitig lenken. Einen schwierigen Rhythmus lernt man besser, wenn man die Akkordwechsel weg lässt. Akkordwechsel lernt man besser mit einfachem Rhythmus. Mit kleinen Spezialübungen kann man zudem die Übedichte - also die Anzahl richtiger Wiederholungen - erhöhen. Statt aller 4 Takte den Akkord zu wechseln, wechselt man auf jedem Viertel o.ä..
Wenn ich aus Erfahrung die Problemstellen eines Stückes kenne, lasse ich komprimierte Übungen mit diesen Stellen schon üben, bevor das Stück überhaupt in Angriff genommen wird. Der Vorlauf lässt diese Stellen dann wiederum nicht so schwer erscheinen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Angst mit diesen Stellen verbunden wird, ist damit geringer und das ist immer von Vorteil.

4. Just do it
 
Das könnte man übersetzen mit: "Egal wie Du es machst, Hauptsache Du machst es.". Es gibt Menschen, die Probleme haben, strukturiert zu lernen. Ihnen liegt es mehr, selber Entdeckungen zu machen. Im Gitarrenunterricht sind das recht anstrengende Schüler. Aber in der Praxis setzen sich diese Macher meist besser durch. Es einfach irgendwie zu machen, ist ineffektiv. Aber viele Musiker üben die meiste Zeit nicht effektiv, sie werden aber  trotzdem besser. Sie spielen das, was sie sowieso schon können bzw. spielen etwas, das sie eigentlich nicht können, so, als ob sie es könnten. Oder sie improvisieren und experimentieren, ohne sich dabei um die Wirksamkeit des Übens zu kümmern. Dies trifft vor allem auf Autodidakten zu. 
Diese Art des Übens ist bezogen auf die Übezeit sehr ineffektiv. Da aber dieses Üben immer mit Lust und Freude verbunden ist, wird es oft und lange gemacht - und zeigt deswegen Resultate. Für den Fortschritt ist hierbei die Anzahl sehr vieler Wiederholungen verantwortlich, verbunden mit dabei zufällig auftretenden Veränderungen, die sich als Verbesserung herausstellen. Im Grunde ist das eine Analogie zum Try-and-Error-Prinzip der Evolution in der Natur.

5. Pressure

Mir ist an mir selber aufgefallen, dass Belastungsproben wie Aufnahmen oder Konzerte oft im Nachhinein zu einem fühlbaren Fortschritt führen. Der Druck, eine bestimmte Leistung abzurufen, schafft Konzentration. Diese Konzentration wirkt wie ein Aufnahmeverstärker (s.o.) und zeigt Wirkung, sofern die erforderliche Leistung halbwegs richtig ausgeführt wird und die eigene Leistungsfähigkeit nicht deutlich übersteigt.

Wie jeder Gitarrenlehrer habe ich wie gesagt Schüler, die zu Hause kaum bis gar nicht üben. Wenn ich mit diesen Schülern im Unterricht übe, dann verstärkt meine Anwesenheit den Druck und schafft damit mehr Konzentration.
Ich habe auch Schüler, die einen großen Unterschied beklagen zwischen dem , was sie zu Hause schon können, und dem, was sie im Unterricht zustande bringen. Diesen Schülern empfehle ich, mir zur nächsten Stunde ein mit dem Smartphone aufgenommenes Überesultat mitzubringen. Ich erwarte dabei folgende Wirkung: Die Konzentration bei der Aufnahme führt zur Übeeffektverstärkung. Sehr wahrscheinlich kann der Schüler dann auch im Unterricht genau jene Leistung abrufen. Natürlich auch im beruhigenden Wissen, den Beweis schon vorher erbracht zu haben - aber dennoch: Das Aufnehmen ist eine Form des effektiven Lernens, denn es verstärkt die Konzentration.
Und prinzipiell lädt diese Form des Lernens dazu ein, so viele Bewährungssituationen zu suchen wie nur möglich: Spielen, spielen, nochmals spielen.  


Ich denke, man kann in seiner Unterrichts- und Lehrplangestaltung mit diesen 5 Lernmethoden  kreativ umgehen. Jede Methode hat Vor- und Nachteile und ideale Anwendungsgebiete. Jeder Schüler hat, meist als Bestandteil seines Charakters bevorzugte Lernmethoden. Dennoch sollten die 5 Wege jedem Schüler nahe gebracht werden. 




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